Eugen Munteanu (Hrsg.): Eugeniu Coşeriu – 90 ani de la naştere
, Anuar de lingvistică şi istorie literară, număr special, Bucureşti: Academia Română. Institutul de Filologie Română „Alexandru Philippide“ 2012, ISSN 1583-7017, 443pp. 

Im Jahre 2011 wäre Eugenio Coseriu 90 Jahre alt geworden, was an mehreren Orten zum Anlass genommen wurde, sowohl der Person als auch des Werks zu gedenken, so u.a. in Rom (10.-11. Juni 2011), in Almería (5.-7. Oktober 2011) und in Rumänien und Moldawien (Iaşi und Bălţi, 27.-29.7.2011). Die Ergebnisse des internationalen Kolloquiums in Almería werden in zwei Nummern der Zeitschrift Analecta Malacitana im Laufe des Jahres 2013 erscheinen (herausgegeben von Jesús Gerardo Martínez del Castillo); die Ergebnisse des an zwei Orten durchgeführten Kolloquiums in Rumänien und Moldawien liegen bereits in diesem von der Rumänischen Akademie und deren Filiale, dem Institut für Romanische Philologie „Alexandru Philippide“ in Jassy herausgegebenen, von Eugen Munteanu besorgten Band vor. Eugen Muntenu und seine Mitarbeiterinnen Luminiţa Botoşineanu, Doina Hreapcă und Ioana Repciuc haben in ausgesprochen kurzer Zeit einen sorgfältig bearbeiteten, umfangreichen Sammelband vorgelegt, der wie allgemein das Jahrbuch Anuar de lingvistică şi istorie literară, als dessen Sondernummer er erschienen ist, auch online frei abrufbar ist 1.

Die beiden Orte, an denen das Kolloquium stattfand, haben eine besondere symbolische Bedeutung im Leben Coserius, da er zwischen 1931 und 1939 in Bălţi das Liceu Ion Creangă besuchte und anschließend das erste Universitätsjahr an der Universität Jassy verbrachte. Mittlerweile ist auch Bălţi Universitätsstadt und Ort einer besonderen Verehrung Coserius, der dort nicht nur Namenspatron der Stadtbücherei ist, sondern dem sich dort nun auch ein Studienzentrum widmet.

Der vorliegende Band enthält eine bunte Mischung aus einerseits Beiträgen, die eher persönlicher Art sind und von Begegnungen mit Eugenio Coseriu oder von persönlichen Erfahrungen sprechen, andererseits meist recht kurzen Arbeiten, die sich mit Coserius Werk auseinandersetzen und schließlich sprachwissenschaftlichen Beiträgen verschiedener Thematik. Die einzelnen Beiträge sind zumeist in rumänischer Sprache verfasst, zwei Beiträge sind Französisch, einer Deutsch und einer Englisch; allen Arbeiten sind englische Zusammenfassungen beigefügt, was ausgesprochen begrüßenswert ist, da das Rumänische für viele den Zugang zu diesen Texten behindert.

Der Band beginnt mit einer kurzen Einleitung von Eugen Munteanu („En guise de préface. La postérité d’Eugenio Coseriu“, S. 7-13), die auf wenigen Seiten einige der Grundlagen des Coseriuschen Sprachdenkens nennt und dessen Gesamtleistung würdigt. Es folgt ein erster Teil Evocări (Erinnerungen), mit Beiträgen von Rodica Albu („Întâlniri cu Profesorul“, S. 15-19), Eugenia Bojoga („‘Coseriu war ein attraktiver Lehrer‘ sau Eugeniu Coşeriu în memoria discipolilor săi“, S. 21-32), Ion Ciubotaru („Caraman şi Coşeriu“, S. 33-38), Wolfgang Dahmen („Eugeniu Coşeriu, aşa cum l-am cunoscut“, S. 39-41) , Stelian Dumistrăcel („Coseriu restitutus“, S. 43-61), Eugen Munteanu („G. Ivănescu şi Eugeniu Coşeriu – semnificaţii ale unei prietenii“, S. 63-72) und Rudolf Windisch („Eugeniu Coşeriu, o evocare“, S. 73-75): es geht einerseits um persönliche Begegnungen, andererseits um indirekte Zeugnisse oder Rekonstruktionen (etwa des Verhältnisses von Caraman und

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Coseriu, wie es Ion Ciubotaru rekonstruiert), aber auch um aus der Begegnung entstandene konkrete Projekte wie einen rumänischen Sammelband zu verstreuten Schriften, die sich mit dem Rumänischen beschäftigen und der von Stelian Dumistrăcel unter dem Titel Etimologie, semantică şi fraseologie românească (din perspectiva romanităţii) vorbereitet wird. Dumistrăcel veröffentlicht in seinem Beitrag auch den diesbezüglichen Briefwechsel mit Coseriu, und einen Briefwechsel finden wir auch in dem Beitrag von Munteanu, nämlich zwei lange Briefe aus den 40erund 60er Jahren zwischen Coseriu und dem Sprachhistoriker G. Ivănescu.

Der Hauptteil widmet sich Studii, articole, note. Die 35 Beiträge dieser Sektion sind alphabetisch nach Autoren geordnet; in thematischer Hinsicht geht es um die folgenden Bereiche, die einen großen Teil der enormen Bandbreite der Arbeiten Coserius umfassen:

- (strukturelle) Semantik: Vasile Bahnaru („Conceptul de câmp semantic în lexicologia modernă (cu referire specială la studiile lui Eugeniu Coşeriu“, S. 95-103) diskutiert die Vorstellung von Wortfeldern im Sinne der Lexematik und die Frage der hierarchischen Organisation des Wortschatzes (mit Bezügen zu den Arbeiten von Berejan und Duchaček); Ioana-Rucsandra Dascălu und Gabriela-Emilia Dascălu beschreiben das Wortfeld „Liebe“ in den Komödien des Plautus („Câmpul semantic al iubirii în comediile plautine“, S. 151-171). Cristinel Munteanu diskutiert das Konzept der Bedeutung bei Coseriu („Pentru o justă înţelegere a conceptului de «semnificat» la Eugeniu Coşeriu“, S. 255-271).

- Terminologieforschung: Der Beitrag von Alina Bursuc („Terminologia botanică din perspectivă coşeriană“, S. 111-119) zeigt bezüglich des Linnéschen Systems einen Bereich sprachlicher Klassifikation, der von der strukturell-semantischen Analyse ausgeschlossen ist, da es um eine Klassifikation von Sachen geht; bei Cristina Florescu („Eugeniu Coşeriu şi chestiunea relaţiei dintre terminologiile ştiinţifice şi cele populare“, S. 183-191) geht es um das Verhältnis von Terminologie und Alltagswortschatz.

- Textlinguistik und Frage des Dialogischen: in einem allgemeinen, französisch geschriebenen Beitrag bestimmt Angela Coşciug „Le concept du texte chez Eugenio Coseriu“ (S. 141-149). Lucia-Gabriela Munteanu („O abordare istorico sistematică a semanticii limbajului politic românesc din perspectiva teoriei lingvistice coşeriene“, S. 273-285) betrachtet rumänische politische Texte aus verschiedenen Epochen und analysiert sie mit textlinguistisch-hermeneutischen Methoden. Viorica Condrat („Dialogue as a particular type of text based on collaboration“, S. 133-139) versucht im einzigen englischen Beitrag, den Dialog als Texttyp zu betrachten und analysiert die Strategien in einem kurzen Dialog aus Dorothy Parkers Kurzgeschichte The Last Tea. Um den Begriff der Alterität und der Alteritätssphären geht es bei Florinela Floria („Cronotopia alterităţii în lectură coşeriană“, S. 193-199); hier wird der Begriff der Alterität auf eine „chronotopische Strukturierung interkultureller Kommunikation“ bezogen und anhand von Arzt-Patientengesprächen exemplifiziert. Ebenfalls um Dialoge, hier aber um Dialogstrategien im Werke Coserius selbst, geht es bei Gabriel Mardare „La linguistique, les mots et la communication. Esquisse pour une analyse des stratégies dialogiques de Coseriu“ S. 2231-239, wo mit Bezug auf zwei Texte die Frage der Stimme und des Klangs des Werkes Coserius (auch ihres Klangs in verschiedenen Sprachen) gestellt wird. Einen interessanten Vorschlag zur textlinguistischen Analyse der Werbesprache auf der Basis der Coseriuschen Umfeldertheorie präsentiert Adriana-Maria Robu („Relaţia „cadru” pragmatic – univers semantic, cu referire la discursul publicitar“, S. 343-355).

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-  Wiederholte Rede und Phraseologie: Maria Abramciuc („Componente şi funcţii ale «discursului repetat» în romanul Din calidor. O copilărie basarabeană de Paul Goma“, S. 77-81) nennt in einem kurzen Beitrag Beispiele wiederholter Rede in einem Roman von 1990; Petronela Savin („Direcţii de cercetare în frazeologia europeană în lumina lingvisticii integrale coşeriene“, S. 377-382) situiert die Phraseologieforschung im Rahmen von Coserius Sprachtheorie

-  Übersetzungstheorie: Mihaela-Cătălina Tărcăoanu, „Teze coşeriene despre teoria traducerii“ (S. 389-393) stellt ein Manuskript zur Übersetzungstheorie aus dem Tübinger Coseriu-Archiv mit den zentralen Thesen Coserius zur Übersetzung vor und Ludmila Zbanţ und Cristina Zbanţ: „Abordarea textuală a traducerii în viziunea lui Eugeniu Coşeriu“, S. 423-432, setzen sich allgemein mit Fragen der Übersetzungstheorie bei Coseriu auseinander.

-  Sprache und Dichtung sowie Kunst: Mit prosodischen Eigenschaften der in den 30er Jahren in der Zeitschrift Crenguţa erschienenen Gedichte Coserius beschäftigs sich Valentina Enciu („Particularităţi prozodice ale poeziei coşeriene“, S. 173-176). Um Coserius Auffasung über die Sprache der Dichtung geht es in einem Beitrag von Ilie Moisuc („Eugeniu Coşeriu şi problema limbajului poetic“, S. 247-253) sowie in einem von Mirela Pustiu zur Sprache von Ion Barbu („Poezia lui Ion Barbu – o concretizare a perspectivei coşeriene asupra limbajului poetic“, S. 331-341). Einige knappe Gedanken zum Thema Sprache und Kunst finden sich bei Diana Vrabie („Eugeniu Coşeriu despre arta limbajului“, S. 411-414); die Frage von Kunst und Alterität behandelt Rodica Marian („Alteritatea în artă“, S. 241-246).

-  Sprachwandel: Anatol Ciobanu („Evoluţia limbii în viziunea lui Eugeniu Coşeriu“, S. 121-132) sieht in der Sprachwandeltheorie Coserius am Beispiel romanischer Sprachen die Möglichkeit, zwischen Oberflächenphänomenen und tiefer strukturellen Wandelphänomenen zu unterscheiden, und Elena Sirota beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Innovation und Wandel („Eugeniu Coşeriu despre schimbări şi inovaţii în limbă“, S. 383-388). Ein konkretes Beispiel von lexikalischer Kreativität beschreibt Zinaida Tărîţă bezüglich der Abkürzungen („Caracterul normat al inovaţiilor lexicale de tip abreviat“, S. 395-400).

-  Varietätenlinguistik: Elena Belinschi („Corelaţia dintre omogenitate şi varietate“, S. 105-110) diskutiert das Verhältnis von Varietät und Homogenität mit Bezug auf das Rumänische.

-  Sprachphilosophie: den Versuch einer kurzen Gesamtwürdigung  des Kerns der Sprachphilosophie Coserius unternimmt Ștefan Afloroaei („Un proiect exemplar de filosofie a limbajului“, S. 83-93); Gheorghe Popa sucht Argumente in Coserius Werk für eine sprachbezogene Weltsicht („Viziunea lingvală asupra lumii din perspectivă coşeriană“, S. 323-330).

-  Allgemeine Aspekte von Coserius Werk und Methode: Für Inga Edu („Modelul Coşeriu – un model cultural integral“, S. 173-176) stellt Coserius Werk ein integrales Kulturmodell dar. Alice Toma zeigt, wie Coseriu in seinen Werken mit wenigen, aber treffenden und z.T. humorvollen Beispielen die theoretischen Gedankengänge illustriert („Tehnica exemplificării la Eugeniu Coşeriu“ S. 401-410); Armelle Jacquet bezieht neuere Erkenntnisse aus der Neurolinguistik auf die Unterschiedung zwischen System, Norm und Rede („Sistema, Norma y Habla de Eugenio Coseriu. Entre cognition, linguistique et neuropsychologie“, S. 215-). Florin-Teodor Olariu („Perspective coşeriene în sociolingvistica actuală“, S. 309-) spricht von einer aktuellen soziolinguistischen Sicht in der Tradition Coserius und Iulia Nica

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(„Eugenio Coseriu şi lingvistica latino-americană“, S. 293-) analysiert Coserius Verhältnis zur lateinamerikanischen Linguistik. Von Coserius Auffassung von den Wortarten handelt ein Beitrag von Dimitru Nica („Teoria părţilor de vorbire la Eugenio Coseriu“, S. 287-).

-  Vulgärlatein: Rudolf Windisch stellt den von Hannsbert Bertsch zusammengestellten Sammelband mit Coserius Schriften zum Vulgärlatein vor („Eugenio Coseriu und das ‚sogenannte Vulgärlatein‘“ S. 415-422, siehe auch die Rezension von Benjamín García-Hernández in Energeia 2, 2010, 85-87).

- Vermischtes: Einige Beiträge haben keinen konkreten Bezug zu Coseriu und behandeln verschiedene Themen, sodie Diskussionen um den Traum von der Rekonstruktion der „perfekten Sprache“ des Paradieses im 18. Jahrhundert (Valeriu Gherghel: „Visul nesfârşit al secolului al XVII-lea: limba adamică“, S. 201-213) oder die metrischen und phonologischen Interferenzen zwischen dem kontinentalen Altfranzösisch und dem Anglonormannischen, die in einem interessanten Beitrag von Michela Russo und Teresa Proto diskutiert wrrden. („Interférences phonologiques et métriques : les rapports entre le français médiéval de France et l’anglo-normand“, S. 357-375).

Eine Rezension der rumänischen Übersetzung der Einführung in die Geschichte der Sprachphilosophie bis Rousseau von Ioan S. Cârâc (siehe auch die Rezension von Mihaela-Cătălina Tărcăoanu in dieser Nummer) sowie ein kurzer Bericht von Florin-Teodor Olariu über die Tagung an den zwei emblematischen Orten, auf welcher die Beiträge dieses Bandes vorgestellt wurden, schließt das Buch ab.

Die Verehrung Eugenio Coserius in Rumänien und in der Moldau, die in diesem Band zum Ausdruck kommt, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es hier keinesfalls nur um eine Art hagiographische Anbetung geht, die aufgrund der Fixierung auf ein Idol den Blick auf Anderes verstellt. Sicherlich gibt es auch dies, und dies ist im Falle eines beeindruckenden Wissenschaftlers mit enzyklopädischem Wissen und enormer Schaffenskraft auch nicht verwunderlich. Der rumänische Sprachraum ist jedoch auch ein Ort intensiver Auseinandersetzung nicht nur mit Coserius Werk, sondern mit dessen philosophischer Grundlage auf der Basis einer breiten Tradition und bei gleichzeitigem Bezug zu verschiedenen Bereichen der gegenwärtigen Linguistik und Sprachphilosophie, und davon zeugt nicht nur dieser Band, sondern eine ganze Bandbreite von Publikationen der letzten Jahre sowohl in Rumänien als auch von Rumänen und Moldauern, die außerhalb der Heimatländer leben. Sicherlich fehlt es mancher der hier präsentierten Arbeiten an bibliographischer Informiertheit oder Aktualität, sicherlich werden manche Wissensgebiete nur partiell rezipiert und die an anderen Orten etablierten wissenschaftlichen Standards nicht immer erfüllt. Dennoch aber zeigt sich hier eine breite Aktivität, ein großes Forschungsinteresse und manch origineller Beitrag. Man tut also gut daran, diese Arbeiten ernst zu nehmen und ihnen mit dem nötigen Respekt und Aufmerksamkeit zu begegnen. Es wäre aber auch zu wünschen, dass noch mehr Aktivitäten auch nach außen getragen werden (auch durch Publikationen in anderen Sprachen) und dass die Sprachtheorie Coserius nie als geschlossenes System angesehen wird, sondern einerseits als aus sich heraus entwickelbar, andererseits, so wie jede Einzelsprache Tür zu allen Sprachen ist, als Zugang und Ausgangspunkt verstanden werden kann zum angemessenen Einordnen jeder aktuellen sprachtheoretischen und sprachphilosophischen Reflexion.            

Johannes Kabatek




1 Die Online-Ausgabe findet sich unter http://www.alil.ro/?p=498 (20.01.2013)